15. Apisticus-Tag 2006

Prof. Dr. Karl Crailsheim

Karl-Franzen-Universität Graz, Graz, Österreich

Was können wir (noch) von Bienen lernen?

Soziale Insekten haben als „Superorganismen“ eine ganz besonders erfolgreiche Position im Tierreich und auch eine besondere Position gegenüber dem Menschen. Die staatenbildenden Insekten leben in Kolonien mit bis zu 3 Millionen Individuen (Termiten), eine Populationsdichte, die selbst beim Menschen eine Reihe von logistischen Problemen bedingt. So muss die regelmäßige Beschaffung von Nahrungsmitteln den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden, aber auch die Ansprüche der Kolonie müssen entsprechend der Menge der zur Verfügung stehenden Nahrungsmitteln angepasst sein. Geschieht die Anpassung an vermehrtes Nahrungsangebot durch Neurekrutierung von Sammlerinnen, so wird im Falle eines extremen Nahrungsmangels der Bedarf beispielsweise durch Brutkannibalismus reduziert. Was bei Bienen so einfach klingt wie: „wir schicken mehr Sammlerinnen in die Umwelt“ ist aber viel komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht. Es genügt ja nicht einfach, mehr Nahrung herbeizuschaffen, es muss auch mehr im Stock verstaut werden, und gegebenenfalls muss auch mehr Platz (Waben) geschaffen werden. Alle diese Anpassungen können in einem Bienenvolk innerhalb von Minuten bis Stunden erfolgen. Wie erfahren aber so viele Mitglieder eines Staates zeitgerecht von entsprechenden Änderungen und welches Kommunikationssystem nutzen sie dafür? Wie werden solche Informationen von Tieren verarbeitet, denen nur ein Gehirn zur Verfügung steht, das kleiner ist als die Spitze einer Stecknadel?

Viele Forscher aus dem Bereich der Verhaltensforschung, der Neurobiologie und der Stoffwechselphysiologie haben sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt und Teilantworten erarbeitet, die sich langsam zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Diese Strategien haben aber andere Forschergruppen neugierig gemacht. So interessieren sich in letzter Zeit immer mehr Informatiker und Roboterspezialisten für das breite Spektrum an Problemlösungstrategien, die soziale Insekten entwickelt haben. Die Bandbreite der Techniken, die von sozialen Insekten abgeschaut wurden, reicht von Algorithmen zur Optimierung von Börsenspekulation und Industrieprozessen, über die Steuerung von Kraftwerken, über die Beladung von Containerschiffen, bis hin zur künstlichen Intelligenz, welche Scharen autonomer und kooperativer Arbeitsroboter steuert.